Arbeitslosigkeit

Die Quellen, die für die Untersuchung der Arbeitslosigkeit auf regionaler Ebene und für diesen Zeitraum (1929-33) zur Verfügung stehen, sind spärlich. Aber es gibt die Ergebnisse der Volkszählung vom 16.6.1933, in der auch die „Erwerbslosen“, wie sie damals in der offiziellen Statistik genannt wurden, erfasst wurden. Die Ergebnisse liegen aufgeschlüsselt nach Landkreisen und kreisfreien Städten vor.

Nicht nur die Zahl der Erwerbslosen wird wiedergegeben, sondern auch deren soziale und geschlechtliche Zusammensetzung. Das klingt vielversprechend, wird aber der Vielgestaltigkeit der Arbeitslosigkeit bei weitem nicht gerecht. Zum einen handelt es sich hier nur um eine Momentaufnahme, die Zeitachse, die Darstellung der ganzen Dynamik der Arbeitslosigkeit fehlt.

Der Zeitpunkt für die Momentaufnahme ist aber nicht ungünstig. Im Sommer 1933 ist zwar der absolute Höhepunkt der Krise bereits überwunden, aber die Zahlen sind zunächst nur leicht rückläufig, sodass wir davon ausgehen können, dass die regionalen „Strukturen“, die regionalen Verteilungsmuster, die hier sichtbar werden, im Wesentlichen identisch sind mit denen des Winters 1932.

Was die verschiedenen Formen der Arbeitslosenunterstützung (Hauptunterstützungsempfänger, Krisenunterstützung, „Wohlfahrtserwerbslose“) betrifft, so werden bei der Volkszählung alle Erwerbslosen einfach zusammengefasst, was bedauerlich ist, ist es doch so nicht möglich, z.B. die Zahl der Langzeiterwerbslosen gesondert zu analysieren. Und bei der Volkszählung wurde auch nicht erfasst, in welchen Branchen die Erwerbslosen früher beschäftigt waren, was sehr hilfreich gewesen wäre, den Ursachen für ihre Erwerbslosigkeit auf die Spur zu kommen. 

Wir überspringen die komplizierte Diskussion über die methodischen Fragen und kommen gleich zum Ergebnis:

Die Erwerbslosigkeit in Schwaben 1933

Die Erwerbslosen werden hier, so wie heute üblich, in Prozent der Erwerbstätigen angegeben. Beachte: Die Erwerbstätigen umfassen nicht nur diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben, sondern alle Personen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.      

Auf den ersten Blick sticht ins Auge: Die Arbeitslosigkeit war vor allem ein städtisches Phänomen. In allen Städten, auch in den kleineren, ist sie stärker ausgeprägt als in den Landkreisen.

Noch deutlicher wird das Ergebnis, wenn wir die absoluten Zahlen heranziehen: 45,6 Prozent aller schwäbischen Erwerbslosen leben in Augsburg, wohingegen die Stadt nur 20,1 der Einwohner Schwabens stellt.

Diese Karte ist zwar durchaus schon aussagekräftig, aber noch interessanter ist der Kartenvergleich. In diesem Fall z.B. der Vergleich mit der Karte der Wirtschaft in Schwaben, die unter dem Menüpunkt > Landeskunde > Wirtschaft zu finden ist.

Ob Sie die beiden Karten tatsächlich optisch miteinander vergleichen wollen, bleibt natürlich Ihnen überlassen. Hier ist das Resultat eines „mathematischen Vergleichs“: 

Bedeutet dies, dass die gewerbliche Wirtschaft auf dem Lande vor der Krise weitgehend gefeit war? Und war das Risiko, den Arbeitsplatz zu verlieren, auf dem Lande wirklich so gering? Um diesen Fragen nachzugehen, müssen wir die Perspektive verändern. Dies tun wir, indem wir die Arbeitslosen nicht – wie heute üblich – in Prozent der Erwerbstätigen berechnen, sondern in Prozent der in der gewerblichen Wirtschaft arbeitenden Erwerbstätigen.

Damit bekommen wir ein völlig anderes Ergebnis:

Wir sehen, dass nach dieser Berechnungsmethode zwar Augsburg immer noch haushoch an der Spitze liegt, dass aber die Unterschiede zwischen der Mittelstadt Kempten, den übrigen Kreisstädten und den Landkreisen praktisch bedeutungslos werden. Die Erwerbslosenquote in Kempten fällt deshalb so niedrig aus, weil die Stadt verhältnismäßig wenig Industrie aufzuweisen hatte.  

Um ein korrektes Fazit ziehen zu können, müssen wir die Ergebnisse der beiden Karten zusammenfassen:

Arbeitslosigkeit ist vor allem ein städtisches Phänomen. Je größer die Stadt, desto – überproportional – höher fällt die Arbeitslosigkeit aus. Aber das Risiko, den Arbeitsplatz zu verlieren, ist in den Landkreisen genauso hoch wie in den Kleinstädten.

Bedeutet dies auch, dass die gewerbliche Wirtschaft auf dem Lande von der Krise genauso hart getroffen wurde wie die in den Städten? Nein, nicht unbedingt. Dies möchte ich am Beispiel des Landkreises Dillingen aufzeigen, der die höchste Arbeitslosenquote bei den gewerblichen Erwerbstätigen in den Landkreisen aufzuweisen hat (auf der Karte: Stufe Rot, stark überdurchschnittlich).

Das folgende Diagramm zeigt die Entwicklung der Beschäftigten in den einzelnen Branchen im Landkreis Dillingen.

Hier zeigt sich, es gibt etliche Branchen, die deutliche Zunahmen an Beschäftigten zu verzeichnen haben, unter anderem sogar der Maschinenbau, ganz gegen den allgemeinen Trend. Wo sollen denn da die vielen Arbeitslosen herkommen?

Da stimmt doch was mit den Zahlen nicht? Dies wäre eine vorschnelle Schlussfolgerung. Um dieses Diagramm interpretieren zu können, muss man einiges wissen: Die „Beschäftigten“ umfassen neben den Arbeitern und Angestellten auch die Betriebsleiter, die „mithelfenden Familienangehörigen“ und die „Lehrlinge“ (heute: „Azubis“).

Die Wirtschaftskrise führte – wie in der Studie umfassend dargestellt wird – zu einer starken „Flucht in die Selbständigkeit“.  Während Arbeiter und Angestellte entlassen wurden, wurden nicht nur viele neue Kleinbetriebe gegründet, sondern auch viele mithelfende Familienmitglieder und Lehrlinge eingestellt.

Um die Wirkungen der Krise auf den Arbeitsmarkt analysieren zu können, können wir aber auf die Zahlen der Arbeiter zurückgreifen, die in der Berufszählung 1933 enthalten sind. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Arbeiterzahlen in den einzelnen Branchen.

So werden nun die hohen Arbeitslosenzahlen leichter verständlich. Aber wenn wir uns die absoluten Zahlen ansehen, dann gibt es immer noch eine Diskrepanz zwischen den arbeitslosen Arbeitern und der Zahl der Arbeitsplatzverluste (für Arbeiter, für die Angestellten liegen leider keine Zahlen vor).

 Im Landkreis Dillingen gingen 751 Arbeitsplätze verloren, es gab aber 1042 erwerbslose Arbeiter. Also stimmt doch was nicht mit den Zahlen!? Gemach, gemach, auch dies lässt sich erklären.  Dazu muss man sich die Definition der Begriffe genauer ansehen.

Arbeitslose werden an ihrem Wohnort erfasst, egal wo sie arbeiten. Die in der gewerblichen Wirtschaft beschäftigten Arbeiter sind an ihrem Arbeitsplatz erfasst, egal wo sie wohnen. Die Brücke zwischen den Erwerbslosen und den Beschäftigten sind: die Pendler. Sie wurden leider erst in der Volkszählung 1939, zu Kriegsbeginn, zum ersten Mal systematisch erfasst.

Aber hier liegt der Schlüssel, um unseren Widerspruch aufzulösen: Man kann davon ausgehen, dass die hohe Erwerbslosenquote im Landkreis Dillingen auf „importierte Arbeitslosigkeit“ zurückgeht, dass die arbeitslosen Pendler die Ursache dafür sind, dass die Arbeitslosenquote im Landkreis Dillingen so ungewöhnlich hoch ist.

Und woher wurde sie „importiert“? Hauptverdächtiger ist hier natürlich die Kreisstadt Dillingen, und siehe da, hier stoßen wir auf genau das umgekehrte Phänomen. In Dillingen Stadt gingen 404 Arbeitsplätze verloren, es gab aber nur 142 arbeitslose Arbeiter. Auch in Augsburg gab es natürlich viele Pendler und so hat auch diese Stadt kräftig Arbeitslosigkeit „exportiert“:  Den 14520 erwerbslos gewordenen Arbeitern  stehen Arbeitsplatzverluste von 18002 gegenüber.

Fazit: Die Arbeitslosenzahlen allein können noch nicht als zuverlässiger Indikator dafür gelten, wie hart die gewerbliche Wirtschaft auf dem Lande von der Krise getroffen wurde. Dazu bedarf es eines genauen Studiums der ganzen Entwicklung der einzelnen Landkreise.