Wachsende Gewalt in der politischen Auseinandersetzung

Schon im Februar 1931 hatte Spreti berichtet, dass sich Angst in der Bevölkerung breit mache, Angst vor politischen Unruhen.

„Die bereits im Vorbericht erwähnte, vielfach verbreitete Befürchtung, dass der Winter nicht ohne Unruhen vorübergehen werde, findet auch diesmal wieder in verschiedenen Ämterberichten Ausdruck. Das Bezirksamt Donauwörth berichtet eine Meldung der Gendarmeriestation Kaisheim, dass fast allgemein die Anschauung herrsche, es werde bald losgehen. Das Bezirksamt Markt Oberdorf führt aus: ‚Durch die Hetzreden, die maßgebende Führer der Nationalsozialisten und Sozialdemokraten in den Großstädten in öffentlichen Versammlungen halten und die offen mit dem Bürgerkrieg drohen, werden weite Volkskreise stark beunruhigt. Diesem gefährlichen Spiel dürfte die Regierung ein Ende machen, bevor es zu spät ist.‘ Das Bezirksamt Nördlingen schreibt: ‚Aufgrund der üblen Wirtschaftslage und des Treibens der Parteien ist das Volk erregt. Die Bürgerkriegsdrohungen Hörsings[i]  wurden weithin gehört und besprochen.‘  Das Bezirksamt Neuburg a. D. berichtet: ‚Die allgemeine Denkungsart in der Bevölkerung in Stadt und Land neigt immer mehr einer radikaleren Richtung zu.‘ Tatsächliche Anhaltspunkte für die Berechtigung der Befürchtung von Unruhen liegen aber auch diesmal nicht vor.“ [6.2.31]

Bei dieser Einschätzung, dass es keine Anhaltspunkte für diese Sorgen der Bevölkerung gäbe, kann man dem Regierungspräsident nicht unbedingt folgen. Die Ängste der Menschen kamen nicht von Ungefähr. Schon einen Monat später, im März, wurde dies allzu deutlich.

„In Kempten kam es in einer sozialdemokratischen Versammlung, in der Reichstags­abgeordneter Fröhlich aus Weimar über ‚Das dritte Reich in Thüringen‘ sprach, zu schweren Ausschreitungen. Die Nationalsozialisten hatten im Allgäuer Tagblatt ihre Anhänger aufgefordert, die Versammlung nicht zu besuchen, dies geschah aber vermutlich nur um die Sozialdemokraten und die Polizei irrezuführen, denn in der Versammlung erschienen tatsächlich etwa 150 Nationalsozialisten mit dem Schriftleiter der „Deutschen Alpenwacht“ Manfred von Ribbentrop von Sonthofen. Als Ribbentrop in der Aussprache die ihm gewährte Redezeit überschritt, wurde er vom Saalschutz gezwungen, das Rednerpult zu verlassen. Die Nationalsozialisten schlugen nun Lärm und es entwickelte sich eine etwa eine Viertelstunde dauernde Saalschlacht, bei der 10 Personen verletzt, 6 Tische, 20 Stühle, 20 Biergläser und mehrere Fenster beschädigt und zerschlagen wurden. Die Verletzten wurden in das Krankenhaus gebracht, bis auf einen konnten sie nach Anlegung von Verbänden wieder entlassen werden. Ein Nationalsozialist hat eine schwere, aber nicht lebensgefährliche Kopfverletzung davongetragen. Nach Beendigung der Schlägerei erschien die Polizei im Versammlungsraum. Sie verhinderte, dass die Nationalsozialisten, die inzwischen aus dem Saal entfernt waren, wieder zurückkehrten. Die Versammlung wurde sodann ruhig zu Ende geführt. Ribbentrop war mit seinem Hund im Saal geblieben. Der Stadtrat Kempten wird künftighin für eine bessere Überwachung und einen besseren Schutz der politischen Versammlungen Sorge tragen.“ [21.3.31]

Auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums, bei den Kommunisten, war man durchaus geneigt, die Eskalationsspirale der Gewalt weiter nach oben zu schrauben. Aber man bekämpfte nicht nur den politischen Gegner, vor allem die Nazis, sondern immer wieder auch die Staatsgewalt. Das hatte sich schon bei der gewaltsam zu Ende gegangenen Erwerbslosendemonstration im Januar 1930 in Augsburg gezeigt.  Im Juni berichtete Spreti über einen neuerlichen Zwischenfall:

 „Bei dem bei Augsburg gelegenen Orte Hammel kam es am Sonntag, den 14. Juni, zu Ausschreitungen von Kommunisten gegen Gendarmeriebeamte. Unmittelbar bei Hammel befindet sich ein Freibadeplatz in der Schmutter. Diese und die anstoßenden Wälder werden an Sonntagen von vielen Augsburger Ausflüglern besucht. Am 14. Juli waren etwa 4000 Personen hinausgekommen, unter denen sich auch eine Anzahl Kommunisten befanden – mit Frauen und Kindern zusammen etwa 180 Köpfe. Im Laufe des Nachmittags wurde ein Kommunist festgenommen, weil er kommunistische Postkarten verkauft hatte. Hierüber hielten sich Kommunisten auf. Als abends die meisten Leute schon weggegangen waren, suchten etwa 25 junge Kommunisten sich an den drei anwesenden Gendarmeriebeamten zu reiben. Sie beschimpften sie und warfen vom Wald heraus mit Steinen nach ihnen. Die Gendarmen zogen ihre Revolver und gingen in die nahegelegene Wirtschaft in Hammel, um auftragsgemäß fernmündlich den Gendarmeriebezirksführer in Augsburg zu verständigen und um Hilfe zu bitten. Der Bezirksführer schickt sofort mit Motorrädern und Fahrrädern von den Nachbarstationen fünf weitere Gendarmen, die in 15-25 Minuten am Platze waren. Die Kommunisten waren aber sofort, als sie merkten, dass die Gendarmen Verstärkung holten, verschwunden. Das Überfallkommando der Augsburger Schutzpolizei wurde vom Gendarmeriebezirksführer absichtlich nicht in Anspruch genommen, weil er es nicht für nötig hielt und weil es sicher auch viel zu spät gekommen wäre. [20.6.31]

Ein besonders krasser Gewaltausbruch ereignete sich im Juli im Landkreis Neu-Ulm. Aber obwohl die politische Auseinandersetzung Auslöser dieses Vorfalls gewesen sein mag, so ging es in diesem Fall doch wohl hauptsächlich um die Befriedigung eines ganz persönlichen Rachebedürfnisses: 

„In Ludwigsfeld, B. A. Neu-Ulm, wurde ein Hilfsarbeiter von drei Reichsbannerleuten, gegen die er tags vorher als Zeuge aufgetreten war, nachts überfallen und durch einen Stich in die Herzgegend schwer verletzt. Der Verletzte war früher Nationalsozialist, ist aber in letzter Zeit zur KPD übergetreten.“ [6.7.31]

Auch die katholisch-konservative Bayerische Volkspartei wurde in den Strudel der gewaltsamen Auseinandersetzung hineingerissen. Schon zum Jahreswechsel 1930/31 begann die Partei deshalb mit dem Aufbau einer eigenen „Parteiarmee“, der „Bayernwacht“. Obwohl Spreti regelmäßig über Neugründungen von Ortsabteilungen der Bayernwacht berichtete, die er als Erfolge feierte, ging der Ausbau dennoch nur schleppen voran.

Bei den Zusammenstößen mit politischen Gegnern spielte die Organisation jedoch noch keine Rolle. So musste im Mai 1931 eine Versammlung der BVP in Memmingen aufgelöst werden, weil es zu Schlägereien mit Nazis gekommen war. Auch bei einer Versammlung in Stötten am Auerberg wurden zwei Nazi-Störer von den Zuhörern hinausgeprügelt. Statt der Bayernwacht musste die Gendarmerie eingreifen, um Ruhe und Ordnung wieder herzustellen.

Aber nicht nur die diversen Parteiarmeen marschierten gegeneinander, auch private Streitereien über Politik endeten immer öfter gewaltsam. Über einen besonders grauenhaften Vorfall, bei dem es sogar einen Toten gab, berichtete Spreti: 

 „Am 20. September kam es in der Wirtschaft in Riedhof, Gemeinde Thal, zwischen anwesenden Weißenhorner und Vöhringer Gästen zu einem erregten politischen Wortwechsel, in dessen Verlauf der ledige Wirtschaftspächter Hubert R. von Weißenhorn den ledigen Fabrikarbeiter Josef H. durch Messerstiche tödlich, dessen Bruder Anton H. durch einen Stich in den rechten Oberschenkel schwer verletzt.“ [5.10.31]

Spretis Bemühungen zum Jahresbeginn, den Ernst der Lage herunterzuspielen, wurden also rasch durch die Wirklichkeit überholt. Das Gespür der Bevölkerung trog nicht: Mord und Totschlag lag in der Luft. Die politische Atmosphäre war zum Zerreißen angespannt, auch im bayerischen Schwaben. 


[i] Otto Hörsing war der Führer des republikanischen, de facto aber sozialdemokratisch geführten Reichsbanners „Schwarz-Rot-Gold“, der mit seinen gelegentlich radikaleren Äußerungen nicht auf der Parteilinie der SPD lag, und deshalb Ende 1931 auch von seinem Posten als Chef des Reichsbanners abgelöst wurde. In Wirklichkeit waren – was Gewalt und Straßenkämpfe betraf – die SA und die „Rotfront“ (Kommunisten) die Hauptkontrahenten, das Reichsbanner stand dazwischen, und bekämpfte beide Gruppierungen gleichermaßen.